die furche - 127

Henning Mankell und die Ökonomie

 

„Die einzige Art, die Welt zu verstehen, in der wir leben, ist, sich mit Ökonomie zu beschäftigen“ meinte kürzlich Henning Mankell, literarischer Vater des schwedischen Kommissars Wallander. Nun, die Beschäftigung mit Ökonomie ist zweifellos hilfreich. Aktuell schlagen die traditionellen Kompassnadeln allerdings nach unberechenbaren Richtungen aus und bieten keine Orientierung mehr für plausible Erklärungen dessen, was wir gerade erleben.

Seit einiger Zeit orientiert sich die Stimmung an den Aktienmärkten an der Frage, wie lange die US-Notenbank noch an ihrer Politik festhält, monatlich 85 Milliarden Dollar in Wertpapierankäufe zu investieren und damit die Geldmenge zu erhöhen. Jede Andeutung, die Dosis dieser Infusionen zurückzufahren, führt zu Kurseinbrüchen. Meldungen über schlechte Daten am Arbeitsmarkt werden hingegen euphorisch aufgenommen, weil sie sich mit der Erwartung einer Fortsetzung der geldpolitischen Botox-Kur verbinden.

Während in den USA Ben Bernanke seine Geldinfusionen an Arbeitsmarktdaten kettet, orientiert sich die EZB traditionell am Inflationsziel von 2 Prozent. Diese Kennzahlen-Korsette der Notenbanken erweisen sich als zu eng. Denn der mit solchen Festlegungen erweckte Eindruck, man hätte die Volkswirtschaft durch Drehen an der Leitzins-Schraube im Griff, täuscht. Wie ausgeschöpft das Arsenal der Zentralbanken ist, zeigt die Tatsache, dass ausnahmslos alle die Leitzinsen auf historisch einzigartige Niveaus zwischen 0 und 0,5 Prozent gesenkt haben, ohne damit die erwünschte Ankurbelung der Konjunktur im Wege einer lebhafteren Kreditnachfrage zu erreichen.

Hinter den offiziellen Leitlinien der Geldpolitik haben andere Motive an Gewicht gewonnen. Zum einen verfolgen die Zentralbanken eine Agenda der Stärkung ihres Wirtschaftsraumes durch Schwächung des Außenkurses der Währung. Das ist den USA zuletzt so gut gelungen, dass der Euro gegenüber dem Dollar mit einem Kurs von über 1,37 so stark war wie vor drei Jahren. Weil das für Europas Volkswirtschaften wegen der nachlassenden Exportkraft mit großen Nachteilen verbunden ist, konnte die EZB gar nicht anders handeln, als den Leitzins um ein weiteres Viertelprozent auf das amerikanische Niveau zu senken.

Noch wichtiger aber ist der Kampf gegen ein Gespenst, das sich bisher geschickt hinter der Maske der Inflationsangst verborgen hat: jenem der Deflation, der flächendeckenden Preis- und Erwartungsdämpfung, mit der bestehende Schuldenberge viel schwerer abzutragen wären als bei sanfter Geldentwertung. Die Sorge der Sparer, in diesem Zinsenumfeld real Geld zu verlieren, relativiert sich vor diesem Hintergrund. Denn die Zinssenkung dient der Abwehr einer größeren Gefahr, die auch für die Sparer mit viel unangenehmeren Folgen verbunden wäre.

Eine an Ökonomen gerichtete Version von Henrik Mankells Erkenntnis müsste wohl so lauten: „Die einzige Art, die Welt zu verstehen, in der wir leben, ist, die ökonomischen Modellwelten zu verlassen und sich den neuen Wirklichkeiten zu stellen“.

14. Oktober 2013

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