die furche - 113

Thatcher und die Marktgesellschaft

 

Vor etwa drei Jahrzehnten war hierzulande erstmals von dem bis dahin völlig unbekannten Begriff „Privatisierung“ zu hören. Margaret Thatcher hatte in Großbritannien gerade erst begonnen, die darniederliegende Wirtschaft durch Stärkung der Marktkräfte neu zu beleben. Staatliche Unternehmen wurden an Private verkauft, im Idealfall in Verbindung mit einem Börsengang und breiter Streuung des Eigentums.

Die wichtigsten Wirtschaftsjournalisten Österreichs nahmen damals an einer von Wolfgang Schüssel initiierten Reise nach London teil, um nachzusehen, wie das Experiment funktionierte. Die Delegation, der ich als junger Experte angehören durfte, absolvierte ein dicht getaktetes Besuchsprogramm bei den wichtigsten Akteuren: vom Management der gerade an die Börse gebrachten British Telecom über Gewerkschafter und Parlamentarier aller Parteien bis hin zu Werbefachleuten und Investmentbankern.

In den Tagen danach waren Österreichs Tageszeitungen und Magazine voll mit Berichten darüber, was „Privatisierung“ bedeutet und wie sie funktioniert. Erst langsam setzte sich in der Folge die Auffassung durch, dass mit einem Staatsanteil von über dreißig Prozent auch bei uns kein Staat mehr zu machen war. Die Ostöffnung und der Zusammenbruch der benachbarten Planwirtschaften lösten dann letzte ideologische Barrieren. Schließlich wurde die Privatisierung trotz einiger arger Kunstfehler und gerichtsanhängiger Einzelfälle alles in allem zu einer Erfolgsgeschichte.

Dass heute allerdings anstelle von Unternehmen (zwangs-)verstaatlichte Banken zu Sorgenbetrieben geworden sind, die das Budget noch auf Jahre hinaus belasten werden, hat wohl ebenfalls etwas mit Margaret Thatcher zu tun. Denn die Schattenseite ihres Tatendranges war eine überzogene Total-Liberalisierung des Finanzplatzes London. Diese entsprach zwar dem Zeitgeist der von Nobelpreisträger Milton Friedman propagierten monetären Entfesselung, mündete am Ende aber in die größte Systemkrise seit den Dreißigerjahren.

Die internationalen Großbanken gebärden sich heute –trotz aller Regulierungsanstrengungen – noch immer als „Finanzindustrie“, statt ihrer eigentlichen Kernaufgabe als Dienstleister der Realwirtschaft nachzukommen. Zur Durchsetzung einer entschiedenen Gegenreformation bedürfte es einer Entschlossenheit, die jener der eisernen Lady von damals nicht nachsteht. Noch aber scheuen die politischen Eliten das Wagnis einer nachhaltigen Disziplinierung der entgrenzten Finanzwirtschaft.

Eine Ebene darüber aber geht es um mehr. Denn der Weg von der Marktwirtschaft in eine alles an Geldwerten messende „Marktgesellschaft“ (© Harvard-Professor Michael Sandel) ist grundsätzlich in Frage zu stellen. Wir brauchen eine Orientierungsgröße für wirtschaftliches Handeln, die nicht aus den Marktgesetzen selbst ableitbar ist. Thatchers ambitioniertes Leitbild hat vor allem deshalb in die gesellschaftspolitische Sackgasse geführt, weil sie eben diese Einschränkung nicht zulassen wollte.

17. April 2013

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